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Adipositas

29. Januar 2025

Adipositas-Behandlung bei Jugendlichen in Stockholm: Erkenntnisse aus dem Meeting mit dem „Centrum för Obesitas“

Die Strukturen zur Behandlung von Adipositas bei Jugendlichen in Stockholm waren mir lange nicht ganz klar. Zwar wusste ich, dass man Jugendliche ab 16 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen an das Centrum för Obesitas (CFO) überweisen kann, aber welche Kriterien dabei genau zu beachten sind, wie die Aufgabenverteilung funktioniert und wer dort arbeitet, war für mich unübersichtlich.

Dank eines heutigen Informationstreffens der kinder- und jugendmedizinischen Zentren (Barn- och ungdomsmedicinska mottagningar, abgekürzt „BUMM“) in Stockholm mit dem CFO konnte ich nun vieles besser verstehen. Die wichtigsten Erkenntnisse habe ich für mich und meine tägliche Arbeit im Praxisalltag auf der schwedischen Seite von „Rock My Health“ zusammengefasst. Für euch habe ich sie hier ins Deutsche übersetzt – vielleicht ist der ein oder andere ja daran interessiert, einen Blick über den Tellerrand zu werfen und zu sehen, wie ein Teil der Adipositasbehandlung in Stockholm organisiert ist.

 

1. Was ist das Centrum för Obesitas (CFO) in Stockholm?

Das CFO ist eine medizinische Fachklinik und ein Kompetenzzentrum für die gesamte „Region Stockholm“ mit dem Auftrag, nicht-chirurgische Behandlungen für Adipositas anzubieten. Auch die Entwicklung von Methoden und die Ausbildung sind Teil des Auftrags. Das CFO bietet spezialisierte Behandlungen für Jugendliche (ab 16 Jahren) und Erwachsene mit Adipositas an.

 

Team: Multiprofessionell mit u a. Ernährungsberatern, Physiotherapeuten, Krankenschwestern, Ärzten und Therapeuten. Insgesamt arbeiten dort etwa 20 Personen.

Überweisungspflicht: Patienten können sich nicht direkt an das Zentrum wenden, sondern benötigen eine ärztliche Überweisung.

Zielgruppe: Jugendliche ab 16 Jahren und Erwachsene mit einem BMI > 35 bzw. einem BMI > 30 mit Begleiterkrankungen, die eine gewichtsreduzierende Behandlung erfordern.

 

2. Überweisungskriterien

Um aufgenommen zu werden, muss ein Patient:

  • Älter als 16 Jahre sein
  • Über die Behandlung informiert sein
  • Den Wunsch äußern, behandelt zu werden

Ausschlusskriterien:

  • Verdacht auf eine Essstörung (z. B. Binge-Eating) – Überweisung an die „Klinik für Essstörungen“ in Stockholm
  • Anhaltender Drogenmissbrauch, selbstschädigendes Verhalten oder Suizidgedanken (muss seit mindestens einem Jahr frei davon sein)

Bei kognitiven Beeinträchtigungen arbeitet das Team mit Unterstützungspersonen des Patienten und der Primärversorgung zusammen. Es kann eine Behandlung mit GLP-1-Analoga erwogen werden.

Die Überweisung sollte folgende Angaben enthalten:

  • Gewicht und Größe
  • Medikamentenliste
  • Frühere Behandlungsversuche
  • Andere Krankheiten und Komorbiditäten, die das Gewichtsmanagement beeinflussen oder erschweren
  • Wenn möglich, aktuelle Blutuntersuchungen (z. B. Stoffwechselstatus)

3. Behandlungsmodell

Personenzentrierte Behandlung nach nationalen Leitlinien mit drei Hauptkomponenten:

  1. Individualisierte Anpassung von Ernährung und Essgewohnheiten
  2. Individualisierte Anpassung von körperlicher Aktivität
  3. Individuelle Unterstützung bei der Durchführung von Verhaltensänderungen
    • Flexibler Kontakt: Chat, Video, Telefon, physische Besuche

Behandlungsschritte:

  • Schritt 1: „Kombinierte Lebensstilbehandlung“ als Basis
  • Schritt 2: Medikamentöse Behandlung, falls angemessen, als „Zusatz“ und nicht als „Ersatz“ für die „kombinierte Lebensstilbehandlung“
  • Schritt 3: Chirurgische Behandlung, falls erforderlich, manchmal in Kombination mit Medikamenten

4. Medikamentöse Behandlung

GLP-1 Analoga werden als Hilfsmittel eingesetzt und ersetzen nicht die Änderung des Lebensstils (!).

Zugelassene Arzneimittel:

  • Saxenda (Liraglutid): Wird täglich subkutan verabreicht, kann nach 1 Woche erhöht werden. Kosten etwa 2500 SEK/Monat (für die volle Dosis).
  • Wegovy (Semaglutid): Wird wöchentlich subkutan verabreicht und kann nach 1 Monat erhöht werden. Kosten 3200-4200 SEK/Monat (je nach Stärke).

Nebenwirkungen:

  • Magen-Darmbeschwerden (vorübergehend)
  • Seltene Fälle von Pankreatitis
  • Vor Beginn der Behandlung werden Fragen zur Vererbung von Schilddrüsenkrebs oder zum MEN2-Syndrom gestellt, da die Behandlung mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Schilddrüsenkrebs verbunden sein kann. Dies basiert auf Tierversuchen; die wissenschaftlichen Evidens ist noch nicht vollständig erbracht.

 

Die Kosten für GLP-1-Analoga werden nicht vom öffentlichen Gesundheitssystem übernommen. Es besteht jedoch die Möglichkeit, bei der schwedischen „Försäkringskassa“ einen Antrag auf Kostenerstattung zu stellen..

5. Präoperatives Programm

Vor einem möglichen operativen Eingriff durchläuft der Patient ein etwa 6-monatiges präoperatives Programm:

Zielsetzungen:

  • Aufklärung über die Bedeutung der Operation
  • Optimierung der Vorbereitung auf die Operation

Inhalt:

  • Chirurgie: Wissen über bariatrische Chirurgie, Tests, Vitamine, Verhütungsberatung
  • Ernährung: Regelmäßiges Essen, proteinreiche Ernährung, Mahlzeiten und Zwischenmahlzeiten, Trinkgewohnheiten
  • Alkohol, Tabak und Drogen: Raucherentwöhnung, Alkoholmenge, Missbrauch/Abhängigkeit
  • Alltägliches Leben: Soziales, Schlaf, Stressbewältigung, körperliche Aktivität

Die Entscheidung über eine Operation wird gemeinsam in einer Behandlungskonferenz getroffen.

6. Postoperatives Programm

Nachbeobachtung:

  • Nach 3, 18 Monaten sowie nach 3, 4 und 5 Jahren
  • Falls erforderlich, häufigere Kontrollen
  • Vor dem Besuch: Blutproben werden bis 18 Monate nach der Operation entnommen

7. Links