Ich bin Kinderärztin und arbeite in einer Praxis. Eine praktisch tätige Kollegin in der Nähe ist neulich in den Ruhestand getreten. Es gibt keinen Nachfolger für ihre Praxis. Viele Patienten haben von heute auf morgen keinen Kinderarzt mehr. Eltern machen sich auf die Suche nach einem neuen Arzt für ihr Kind. Die Suche gestaltet sich schwierig. Die meisten Praxen nehmen keine neuen Patienten mehr auf. Sie sind an ihren Grenzen angelangt. Das ist die Situation in Berlin. Es ist keine Ausnahme. In ländlichen Gebieten sieht die Lage noch düsterer aus.
Ich möchte an dieser Stelle weder auf gesundheitspolitische Entscheidungen oder Defizite in der Bedarfsplanung für Praxissitze, noch auf die steigende Geburtenrate in Deutschland eingehen. Darüber berichtet die Presse regelmäßig. Vielmehr frage ich mich, was ich dazu beitragen kann, die Situation zu verbessern. Eines weiß ich sicher, ich kann definitiv nicht mehr Patienten aufnehmen. Mehr Patienten bedeutet, dass ich noch weniger Zeit für das einzelne kranke Kind habe. Es bedeutet auch, dass ich noch weniger Zeit für eine Vorsorge, für eine Impfung oder für ein Gespräch mit einem besorgten Patienten oder einem Elternteil habe. Es bedeutet, dass die Qualität meiner Arbeit sinkt!
Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht, wie wir in der Praxis bürokratische Hürden für Eltern/Patienten abbauen können. Als angestellte Ärztin bleibt mir wenig Spielraum. Aus Schweden bin ich gewohnt, dass Eltern eine bestimmte Anzahl von Krankheitstagen für ihr Kind pro Jahr zusteht. Sie müssen nicht für eine „Ärztliche Bescheinigung für den Bezug von Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes“ den Arzt aufsuchen. Wieviel dieses Vorgehen die Praxen entlastet, sehen wir in der jetzigen Krisensituation durch das Coronavirus und den vorübergehend geltenden Sonderregelungen zur Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sehr deutlich. Auf die dauerhafte Entscheidung, die Bestimmungen zu lockern, habe ich keinen Einfluss. Ich habe auch keinen Einfluss auf die Flut an gewünschten Attesten, die ich tagtäglich ausstellen muss. Kita-Tauglichkeit, Kur-Tauglichkeit, Sport-Tauglichkeit, Schwimm-Tauglichkeit, Sauna-Tauglichkeit etc.. Du siehst, die Liste ist lang … und das Wartezimmer füllt sich mehr und mehr …
Daher habe ich mich mit der Frage beschäftigt, was ich tun kann, um bei steigenden Patientenzahlen mehr Zeit für die wirklich wichtigen Aufgaben in meinem Praxisalltag zu haben? Dabei ist mir Folgendes aufgefallen …
In meinem Praxisalltag in Berlin fiel mir im Gegensatz zu meiner Arbeit in Schweden auf, dass ich sehr häufig für dieselben Anliegen konsultiert werde. Einfache Infekte und leichte alterstypische Beschwerden wie z.B. Windelpilz sind häufige Vorstellungsgründe. Es handelt sich demnach meistens um Anliegen, bei denen gut informierte Eltern nicht zwingend den Kinderarzt aufsuchen müssen.
Ich würde mir gerne mehr Zeit für Eltern nehmen, die noch sehr unsicher im Umgang mit ihrem neugeborenen oder kranken Kind sind. Sie haben häufig viele Sorgen und Fragen. Aus den oben aufgeführten Gründen ist es leider unmöglich, alle „neuen“ Patienten/Eltern der Praxis persönlich mit den grundlegenden Informationen zu den verschiedenen gesundheitlichen Anliegen vertraut zu machen. Eigeninitiative ist an dieser Stelle gefordert und genau hier möchte ich Eltern unterstützen.
Aus diesem Grund habe ich mir überlegt, dir als Mutter oder Vater meine persönliche Sammlung an Ratschlägen und Basiswissen zu den häufigsten Vorstellungsgründen zusammenzustellen. Diese Informationen sollen dir bei der Entscheidung helfen, was du für dein Kind tun kannst, wenn es mal krank ist oder sich unwohl fühlt. Reicht aktives Beobachten? Kannst du vielleicht schon mit einfachen Hausmitteln oder rezeptfreien Arzneimitteln Beschwerden lindern? Oder solltest du dein Kind zeitnah eurem Kinderarzt vorstellen? Ich weiß, das sind häufig schwere Entscheidungen. Aber glaube mir, mit einem soliden medizinischen Hintergrundwissen entwickelst du mit der Zeit ein gutes Gespür dafür, ob dein Kind ernsthaft krank ist. Ich bin mir sicher, auch du wirst mit mehr Wissen die eine oder andere Situation selbständig meistern und du sparst dir damit den Weg in die Praxis. Du wirst sehen, für vieles musst du zum Kinderarzt, aber bei weitem nicht für alles ….. :-).